Als Jannik Sinner vor drei Tagen das ATP-Turnier in Cincinnati gewann, ahnte noch niemand, welch schwerwiegende Vorwürfe nur wenige Stunden später auf dem derzeit besten Tennisspieler der Welt lasten würden. Bereits im März 2024 hatte man den Südtiroler positiv auf Steroide getestet, wie die International Tennis Integrity Agency vorgestern bekannt gab. Bei Sinner wurden nach seinem Turniersieg in Miami geringe Mengen der verbotenen Substanz Clostebol nachgewiesen. Inzwischen schlägt der Fall hohe Wellen, immer mehr Details kommen ans Licht.
Was sich völlig im Hintergrund abgespielt hat und erst seit dieser Woche bekannt ist: Die aktuelle Nummer 1 der Welt war im Frühjahr gleich zweimal für den Tenniszirkus gesperrt. Da Jannik Sinner aber jeweils mit seiner Berufung Erfolg hatte, erfuhr die Weltöffentlichkeit nichts davon. Die Punkte und das Preisgeld für seinen Sieg in Indian Wells werden dem Italiener nun jedoch im Gegensatz zum Turnier in Cincinnati aberkannt. Sinner hatte zu Beginn des Jahres seine Unschuld beteuert. Die Kontamination mit Clostebol sei durch die Behandlung mit einem rezeptfreien Heilspray entstanden, das über Massagen seines Physiotherapeuten in seinen Körper gelangte.
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Verbotene Substanz Clostebol nach Massage aufgenommen
Der Physiotherapeut Sinners hatte sich mit einem Skalpell geschnitten und die Wunde mit dem besagten Spray behandelt. Anschließend habe er den Körper des Tennisstars ohne Handschuhe massiert, woraufhin dieser das Steroid aufgenommen habe. Die Berufung des Tennisspielers führte zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung und einer unabhängigen Anhörung. Das unabhängige Gericht erklärte den damals 22-Jährigen danach für unschuldig. Bei der Aufnahme der verbotenen Substanz habe es sich um eine versehentliche Verunreinigung gehandelt. Inzwischen melden sich Kritiker zu Wort, die das Vorgehen der Tennisagentur Itia nicht nachvollziehen können.
Steckbrief von Jannik Sinner
Zudem gibt es Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschichte. So kommentierte der Dopingexperte Prof. Dr. Fritz Sörgel das Verfahren wie folgt: „Die Story ist nicht glaubwürdig. Er sagt, dass der Physio beim Versorgen der Wunde noch Rückstände der Salbe am Finger hatte. Man trägt da nicht pfundweise Salbe auf. Das ist natürlich Schwachsinn.“ Der Professor fährt fort: „Auch wenn er ihn jeden Tag massiert, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass das Clostebol in solchen Mengen durch die Haut eindringt. Es wird in kürzester Zeit im Körper so verteilt, dass eigentlich nichts mehr übrigbleibt. Insofern kann die Story nicht stimmen.“
„Die Story ist nicht glaubwürdig. Man trägt da nicht pfundweise Salbe auf. Das ist natürlich Schwachsinn.“
Dopingexperte Prof. Dr. Fritz Sörgel
Tennis-Konkurrenten fordern Sperre für Jannik Sinner
Mindestens zwei Spieler der Herrenkonkurrenz haben das Verfahren bereits öffentlich kritisiert. So schrieb Nick Kyrgios auf X: „Lächerlich – ob es nun versehentlich oder geplant war. Er wird zweimal auf eine verbotene Substanz getestet. Er sollte für zwei Jahre gesperrt werden.“ Auch Denis Shapovalov aus Kanada meldete sich zu Wort: „Unterschiedliche Spieler, unterschiedliche Regeln. Kann mir kaum vorstellen, wie sich andere Spieler jetzt fühlen, die wegen kontaminierter Substanzen gesperrt wurden.“ Noch kann die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Berufung gegen Sinners Freispruch einlegen, dann drohen dem Italiener harte Konsequenzen.
„Die Kritik der Kollegen? Die kam von Idioten und Frustrierten.“
Italiens Verbandschef Angelo Binaghi
Zuspruch erhält Sinner derweil von seinem italienischen Verbandschef. Präsident Angelo Binaghi äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur LaPresse wie folgt: „Die Kritik der Kollegen? Die kam von Idioten und Frustrierten. Diejenigen, die größere Fähigkeiten als Sinner hatten, um die Nummer 1 der Welt zu werden, aber kläglich gescheitert sind. Es wäre eine ganz andere Sache gewesen, wenn sich ein Rafael Nadal oder ein Novak Djokovic zum Thema geäußert hätten. Aber diese Leute haben einen anderen Charakter. Sinner wird aus dieser Situation noch stärker hervorgehen.“